Der Bankomat

18.07.2019

Autor: Nick Thräne

Im Urlaub bin ich für die Urlaubskasse zuständig. Auch in diesen Ferien war das der Fall. Es war Sonnabend, wir waren gerade in Dänemark angekommen und brauchten Bargeld. Also, ab zum nächsten Geldautomaten.

Am Bankautomaten war ich der Dritte in der Reihe. Hinter mir wurde die Schlange schnell länger, und zack! standen 20 Leute vor der Geldklappe. Wie es sich anhörte, fast alles Deutsche.

Dann war die Frau vor mir an der Reihe. Sie war ungefähr 35 Jahre alt, etwa 1,5 Meter groß und von zierlicher Gestalt. An ihrer linken Hand hielt sie die beiden etwa vierjährigen Töchter, und um ihr rechtes Handgelenk hatte sie sich die Leinen mit den beiden Hunden gewickelt. Der dazugehörige Familienvater hatte sich etwas abseits auf einer Bank niedergelassen und ließ sich zufrieden lächelnd die Sonne ins Gesicht scheinen.

Allem Anschein nach war in dieser Familie eindeutig die Frau für die Urlaubskasse zuständig ... und die Kinder ... und die Hunde ... und dass es dem Mann gut ging und ...

Mit einigen Mühen im Kampf gegen Töchter und Hunde bekam die Frau ihre Geldkarte aus der Tasche gefummelt und schob sie in den Automaten. Bei der Eingabe der PIN musste sie zwischen jeder Zahl eine Pause einlegen, um mit hörbarem Kraftaufwand ihren Finger mit den Hunden am Handgelenk wieder zum Zahlenfeld für die nächste Zahl zu bekommen.

Nach viermaliger Wiederholung dieses Spiels entspannte sich ihr Körper. Sie war nun allem Anschein nach fertig und wartete auf ihr Geld.

Den lieben Kleinen hingegen wurde die Warterei zu langweilig und sie verwickelten die ziemlich großen Hunde in eine wilde Spielerei, um dann in Richtung ihres Vaters zu laufen. Wozu die Hunde ebenfalls kraftvoll ansetzten. Die Frau stemmte sich dagegen, immer noch den Blick auf das Geldfach des Automaten gerichtet.

Erwacht vom Geschrei seiner Kinder öffnete der Vater kurz die sonnenzugewandten Augen, sah sich den Tumult kurz an und schloss die Augen wieder gen Sonne.

Der Typ hinter mir: "Warum jet ditte denn nich' weiter?"

Allem Anschein nach war der erste Versuch, vom Automaten Geld zu bekommen, misslungen, denn die Mutter von "fünf Kindern" fing erneut an, die PIN einzugeben. Diese Annahme wurde dadurch bestätigt, dass sie die Zahlen, die sie eintippte, sehr laut vor sich hin sprach: "7-7-6-4."

Dann?

Wieder warten?!

Aber scheinbar wieder nichts ...

Wieder der Typ hinter mir: "Mann, wann jet ditte endlich weiter?"

Der dritte Versuch folgte. Dafür trat die kleine Frau, mit den Hunden und den Kindern und immer noch ohne den Ehemann, sichtbar verzweifelt ganz dicht an den Automaten heran und schrie bei der PIN Eingabe: "7 - 7 - 6 - 4 - uuuuuund duuuuuuu kaaaaannst mir glauben, das iiiiiiiiist die richtige PIN, verdammte Scheiße ...!"

Die urgewaltige Stimme ihres Frauchens veranlasste die Hunde, sich umgehend auf den Rücken zu legen und sich tot zu stellen. Sogar der Ehemann, jäh aus seinem Tagtraum gerissen, eilte verstört zu Hilfe.

Der Bankomat hingegen blieb unbeeindruckt und spuckte lediglich die Geldkarte wieder aus. Aus der kleinen tapferen Frau schien jede Kraft zu weichen. Woraufhin ihr Mann sie zu einer Bank führte.

Jetzt war ich an der Reihe. Unser Sohn und ich stellten uns vorschriftsmäßig vor den Automaten, sodass man uns nicht auf die Finger sehen konnte. Als ich die Karte reingeschoben hatte, zog der Automat sie auffallend langsam ein. Ich dachte mir nichts weiter dabei. Vielleicht war das ja so bei diesem komischen Gerät. Im selben Moment erschien auf dem Display: "Ein technischer Fehler, die Karte wird einbehalten." Es war die einzige Karte, die ich besaß. 

Ich beschloss, erst einmal nicht zu atmen.

Der Typ hinter uns: "Mein Jott, watt dauert denn da so lange? So schwer kann ditte doch ooch nich sein!"

Im gleichen Moment bewegte sich etwas im Kartenausgabeschlitz und eine winzige Ecke meiner Geldkarte war zu sehen. Ich bekam sie gerade so mit den Fingerspitzen zu packen und konnte sie herausziehen.

Der Typ hinter uns: "Keen Jeld uffem Konto, aber in Urlaub fah'n!"

Ich stimmte dem Rufer durch ein trauriges Kopfnicken zu, setzte mich auf die Bank neben dem Geldgerät und wartete.

Als der "nette Berliner" kurze Zeit später wild fluchend an uns vorbeiging, weil seine Karte nun tatsächlich einbehalten wurde, fühlte ich kein Mitleid.