Der Workshop!!!

24.04.2019

Autor: Nick Thräne

Nach vier Stunden Zugfahrt im total überfüllten Fanzug der Schalker, mit leichtem Biergeruch auf dem Hemd, kam ich im Hotel in Oer-Erkenschwick an. Die Empfangsdame begrüßte mich mit den Worten: "Ich heiße sie recht herzlich im Hotel Landblick willkommen. Sie sind Teilnehmer am Seminar ,Selbstmanagement'?"

Ich zögerte kurz.

Woher wusste sie das?

Konnte man mir das ansehen?

Wie sehen Teilnehmer am Seminar Selbstmanagement eigentlich aus?

Scheinbar wie ich.

Ohne meine Antwort abzuwarten, wurde ich zum Veranstaltungsraum geführt.

Der Raum war ca. 40 Quadratmeter groß, rechteckig und mit dunklem Holz bis zur Decke getäfelt. Die zwei einzigen Fenster, die im Regelfall Tageslicht ein Zimmer erhellen lassen, gaben den Blick direkt auf den angrenzenden Hotelflur frei. Beleuchtet wurde die Örtlichkeit mit kerzenlichthellen Wandleuchten.

Nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erschienen nach und nach die Umrisse eines Stuhlkreises mit 18 Stühlen. Ich hasse Stuhlkreise. Hat immer irgendwie was von Therapie: "Hallo. Mein Name ist Torsten. Ich bin jobgelangweilter Wochenendalkoholiker mit Auswanderungsgedanken." 

Nach und nach trafen alle Teilnehmenden ein und tasteten sich durch den Darkroom zu den freien Stühlen vor.

Als auch ich einen Platz gefunden hatte und meinen Blick durch die Runde wandern ließ, blieb ich an einem Flipchart hängen. Auf dem Flipchart stand: "ICH - Herzlich willkommen!"

ICH ... und in Großbuchstaben????

Wie: "ICH"???

Selbstfindung??? Was ist mit dem guten alten Selbstmanagement???

Achselnässe!

Mein Stammhirn artikulierte laute Fluchtbefehle.

Zu spät ...

Das Licht wurde heller und eine Frau betrat die Szene. Pechschwarze lange Haare, zum Pferdeschwanz eng am Kopf zusammengezurrt. Ein dunkelgraues, korsettenges Kostüm mit Miniminirock.

Über den Köpfen der Teilnehmenden wurden zahllose Sprechblasen sichtbar. Diese gereichten von: "Oh mein Gott, eine Domina!", zu: "Warum nur?", und ... Den Rest muss ich sittsam verschweigen.

Die Veranstaltung begann mit einer Vorstellungsrunde. Mit fester Stimme erklärte Dina, so hieß unsere Herrin, dass der Stoffball in ihren Händen das Symbol für das Rederecht sei. Im selben Moment warf Dina den bunten Stoffball zum ersten Teilnehmer.

Oliver, wie wir sodann erfuhren, fing den Ball und begann ihn intensiv zu kneten. Nachdem er seine erste Aufregung in den Ball befördert hatte, erklärte er uns recht umständlich und fast im Flüsterton, dass er 35 Jahre alt sei, bei seinen Eltern lebe und mehr über sich erfahren wolle.

Dann war Helga an der Reihe. Helga war 36 und Kassiererin.

Sodann versuchte Gero den Ball zu fangen, griff vorbei und seine Nachbarin bekam den Ball an den Kopf. Die Getroffene lächelte mütterlich und tröstete Gero, dass er den Ball nicht gefangen hatte. Gero beschrieb sich als Informationstechniker, 29 Jahre alt.

Ob er noch bei seinen Eltern wohnte, bekam ich schon nicht mehr mit. Meine ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf den Stoffball. Das Kneten des Balls hatte sich in eine Art Auswringgeräusch verwandelt??!!

Im Moment dieser Erkenntnis sah ich wie in Zeitlupe, dass Gero mit dem linken Arm ausholte, bis seine Hand direkt hinter seinem Schulterblatt war und er den Ball dann in meine Richtung beförderte.

Bewegungsunfähig sah ich zu, wie der Handschweißball in einer Bogenlampe auf mich zukam, um dann platschend auf meinem Schoß zu landen. Dort hinterließ er sogleich einen dunklen Fleck. Ich merkte, immer noch wie im Zeitraffer, dass sich mein Gesicht zu einer Fratze verkrampfte und ich scheinbar laut aussprach, was ich eigentlich nur denken wollte: "Du Sau, wie widerlich ist das denn?!"

Gero wurde angstrot. Übrigens, das Mindeste, was er aus meiner Sicht tun konnte.

Irgendwie schienen die anderen das nicht so zu sehen und trösteten Gero. Auch ein nochmaliges Herumzeigen meines Flecks im Schritt ließ die Sympathien nicht wieder auf mich zurückschwappen.

Nach der Handschweißballübung folgte eine Vertrauensübung. Die Anweisung lautete, dass wir uns mit unserer Partnerin zur Linken Rücken an Rücken stellen sollten und unser gesamtes Gewicht auf unsere Partnerin verlagern sollten. So würden wir dann ins vertrauensvolle Gleichgewicht kommen.

Meine Partnerin hieß Inga, war eineinhalb Köpfe kleiner als ich und konnte nicht mehr wiegen als mein Frühstück.

Ich versuchte Inga zu überzeugen, dass die Übung aller Voraussicht nach nicht ohne schwerwiegende Folgen für sie ausgehen würde. Sie hingegen versicherte mir, dass sie in solchen Übungen sehr erfahren sei und ich ihr vertrauen könne.

Als ich mich von ihr runterrollte und sie ihre inneren Organe wieder an die richtige Stelle gerückt hatte, wurde meiner Partnerin klar, dass man nicht jedem vertrauen sollte. Zumindest nicht mir, wie es aussah. Das schienen auch alle anderen zu meinen.

Ich verließ die Veranstaltung vorzeitig mit der Erkenntnis, dass ich ein brüllender, Gefühle verletzender Grobian bin, der andere "erdrückt".

Als Trost blieb mir, dass ich zumindest nicht mehr bei meinen Eltern wohnte.