"Ohne lange nachzudenken" - Ein Job in Afrika!

08.06.2019

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Volker Thräne

OHNE LANGE NACHZUDENKEN

Meine Zeit in Afrika

Manches im Leben kann man nicht vorhersehen

Meine Geschichte beginnt an einem Dienstag im Herbst 1981. Früh am Morgen um drei viertel sechs klingelte der Wecker. Man könnte natürlich auch sagen, fünf Uhr fünfundvierzig, es würde jedoch nicht das Geringste an der Tatsache ändern, dass nun der Tag wie immer seinen gewohnten Lauf nehmen wird.

Das Rauchen hatte ich mir schon vor einigen Jahren abgewöhnt, essen konnte ich zu so früher Stunde immer noch nicht und die flüchtige Tasse Kaffee machte einen solchen Morgen auch nicht gerade zu einem wirklichen Erlebnis. Selbst der Blick aus dem Fenster vermochte daran nichts zu ändern, hatte es doch die ganze Nacht geregnet und deshalb war mir klar, was mich dort "draußen" erwarten würde. Eine Situation, die unter derartigen Umständen überhaupt keine romantischen Gefühle aufkommen ließ, denn es lag noch eine Wegstrecke von etwa vierzehn Kilometern bis zu meiner Arbeitsstelle vor mir und das bei diesem unangenehm feuchten Wetter. Ein allmorgendlicher "Ritt" mit dem Moped, der, würde man es genauer betrachten, sogar einige Variationsmöglichkeiten zuließ. Ich konnte mich entscheiden, ob ich die Landstraße "nahm" oder mit dem Moped durch den Wald fuhr. Eine Entscheidung, die einzig und allein vom Wetter abhing. An besagtem Dienstagmorgen im Herbst 1981 entschied ich mich zwangsläufig für die Straße. Also rein in die Klamotten, rauf auf mein Zweirad und ab zur Arbeit.

Auf der Fahrt zum Betrieb begegneten mir in nahezu regelmäßigen Abständen Lkw. Sie transportierten Schotter oder Splitt, Material aus dem Steinbruch, in dem ich damals arbeitete. Bei jedem dieser Lkw wurde ich in eine Wolke von hochgewirbeltem Wasser und Dreck gehüllt. Zu so früher Stunde und auf nüchternen Magen bestand da nicht im Geringsten Grund zur Freude.

Ich erreichte dennoch und genau wie an jedem anderen Arbeitstag pünktlich den Betrieb und ... "meine" Lehrwerkstatt.

Das große Eingangstor zur Halle stand schon weit offen. Paul, unser "Ältester" im Team, war immer ein paar Minuten vor mir im Betrieb. Er hatte gerade die Türen zu den Umkleideräumen der Lehrlinge aufgeschlossen und kam mir nun zum vorderen Eingang der Halle entgegen, um mich zu begrüßen. Ein Ritual, das sich fünfmal die Woche in ähnlicher Weise wiederholte und für mich zu einer mittlerweile angenehmen Gewohnheit geworden war. So gesehen, konnte ich mich über meine damalige Situation eigentlich nicht wirklich beklagen.

Nach dem Studium übernahm ich die Berufsausbildung des Betriebes, eine, wie ich meine, richtige Entscheidung, denn hinter dieser Tätigkeit verbarg sich ein recht interessanter und oft auch spannender Job. Die Arbeit gestaltete sich abwechslungsreich und ich kam mit meinen Kollegen im Betrieb und selbstverständlich auch mit unseren Lehrlingen gut aus.

Nachdem Paul und ich einander die Hände geschüttelt und wir die üblichen Belanglosigkeiten ausgetauscht hatten, ging ich durch die Lehrwerkstatt zu meinem Büro. Schon auf dem Weg dorthin vernahm ich das penetrante Klingeln meines Telefons. Ein Geräusch, das so früh am Morgen aus meiner Erfahrung heraus kaum etwas Gutes bedeuten konnte. Ich startete also einen letzten Versuch, der Wirklichkeit zu entfliehen, indem ich so tat, als würde ich das Klingeln einfach überhören, um vielleicht doch noch dem, was da kommen könnte, aus dem Weg zu gehen.

Zwecklos!

Die Hartnäckigkeit des Anrufers zwang mich letztendlich zur Aufgabe. Also nahm ich den Hörer ab und meldete mich so freundlich, wie es jemand mit meiner Laune morgens um sechs Uhr zweiundvierzig fertigbringt. Die Stimme am anderen Ende der Leitung bat mich, doch bitte sofort in die Personalabteilung zu kommen. Damals in der DDR nannten wir diesen Bereich "Kaderabteilung". Wie gesagt, um diese Zeit konnte das einfach nichts Gutes bedeuten. Auf alle Fälle war ich nun endlich munter, genau genommen hellwach.

Es regnete noch immer.

Als ich die Tür zu besagter Abteilung öffnete, erkannte ich im hinteren Teil des Raumes den Inspektor für Berufsausbildung des Kombinates für Zuschlagstoffe und Natursteine aus Dresden. Ein älterer Herr, den ich bis zu diesem besagten Morgen im Herbst ... unter der Rubrik kollegial und sympathisch einordnete. Er stand kurz vor dem Ruhestand, gab sich stets wie ein zerstreuter Professor und besaß viel von dem, was man wohl Lebenserfahrung nennt, auch wenn es ihm auf den ersten Blick nicht unbedingt anzusehen war. Auf jeden Fall waren wir beide bisher blendend miteinander ausgekommen.

An diesem Morgen wirkte sein Gesichtsausdruck allerdings unergründlich. Auch die anderen Kolleginnen und Kollegen im Raum schauten eher düster drein. Also brachte ich alle mir noch gebliebene Freundlichkeit auf und fühlte dabei immer mehr die Spannung, die mich umgab. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis ich alle Anwesenden begrüßt hatte und endlich jemand von ihnen das Wort ergriff. Es war unsere Kaderleiterin.

Mit ungewohnt bedeutsamer Stimme sagte sie: "Herr K. hat dir etwas Wichtiges vom ,General' auszurichten."Mit "General" meinte sie den Generaldirektor des Kombinates Zuschlagstoffe und Natursteine in Dresden, dem unser Betrieb angehörte. Nun war ich endgültig davon überzeugt, dass ich mich genau jetzt gerne an einem anderen Ort befinden würde, und erinnerte mich, wie entspannt es doch sein kann, am frühen Morgen mit dem Moped im Regen zu fahren und immer wieder mal von Wasser und Dreck eingehüllten Lkw zu begegnen.

Irgendwie kam mir der Vergleich mit Einstein und seiner Relativitätstheorie in den Sinn, was mich zur Verwunderung aller Beteiligten zum Schmunzeln brachte und unseren Inspektor noch verwirrter dreinblicken ließ. Dann folgte endlich sein Auftritt.

Ohne große Vorrede bemerkte er nun: "Der General hat mich beauftragt, dir zu übermitteln, dass du von deinem Posten als Chef der Berufsausbildung enthoben bist."Wie mir in diesem Moment zu Mute war, wäre mir peinlich, im Detail zu beschreiben. Nur so viel, ich muss recht eigenartig aus der Wäsche geschaut haben, denn alle im Raum sahen mich an und einer nach dem anderen begann zu grinsen und sogar zu lachen. Blitzartig wurde mir klar, dass ich einem gut vorbereiteten, wenn auch derben Scherz erlegen war, und deshalb bin ich heute noch stolz auf meine Reaktion, denn ich erwiderte mit versucht ernstem Blick, mit ruhiger Stimme und einer Kehrtwendung zur Tür: "Dann richte dem guten Mann aus, mir hat die Arbeit in der Zentralwerkstatt",dort hatte ich vor meinem Studium gearbeitet, "sowieso mehr Spaß gemacht, als mich mit den Kindern anderer Leute herumzuärgern."

Ich fand mich zwar in diesem Moment recht gut, wusste jedoch immer noch nicht, was das alles sollte. Ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, dass jemand aus Dresden anreist, noch dazu so früh am Morgen, um mit mir und all den anderen Anwesenden derartige Scherze zu treiben. Deshalb ging bei mir im Kopf alles leicht durcheinander. Das änderte sich erst, als man mir Platz und Kaffee anbot und endlich damit begann, in einer mir gewohnten Atmosphäre sachlich zu reden und mir zu erklären, worum es bei diesem Spielchen wirklich ging.

In dem nun folgenden Gespräch erfuhr ich etwas über internationale Ausschreibungen, mein Inspektor nannte es wohl "Tender", und er berichtete, dass die Volksrepublik Mosambik einen solchen internationalen Tender ausgeschrieben habe, in dem es um den Bau eines Berufsausbildungszentrums für den Raum Maputo ging. Das Ministerium für Bauwesen der DDR sei entschlossen, sich an dieser Ausschreibung zu beteiligen und unser Kombinat sei beauftragt worden, ein entsprechendes Konzept zu erarbeiten. Man habe lange und gründlich überlegt und sei zu dem Entschluss gekommen, mich für diese Aufgabe zu begeistern. Da die von mir bisher erbrachten ... und so weiter und so weiter.

Zu diesem Zeitpunkt bewegte ich mich gedanklich schon auf einer ganz anderen Ebene. Ich hatte Maputo und Mosambik gehört, brachte diese Stadt und das Land sofort mit dem südlichen Afrika in Verbindung und befand mich in meiner Vorstellung schon auf dem Weg dorthin.

Ich hörte mir den Vortrag nicht bis zum Ende an, war sofort mit allem einverstanden, auch wenn ich noch nicht im Geringsten wusste, was mich in Zukunft und in dieser Richtung erwarten würde und worauf ich mich gerade einließ.

Um eine so spontane und übereilte Reaktion zu erklären, muss ich an dieser Stelle einen kurzen Schnitt machen.

Die damalige DDR war ein Land, in dem das Wort "Mobilität" nicht besonders großgeschrieben wurde. Für viele, vor allem auf dem Land und in den Kleinstädten lebende Menschen stellte eine Strecke von mehr als hundert Kilometern eine enorme Entfernung dar. Man arbeitete, wo man wohnte, dort verbrachte man seine Freizeit und den Urlaub und wenn, dann ging es mal an die Ostsee oder in den Harz. Es gab aber auch die "anderen", die nach Ungarn oder Bulgarien reisten, die fremde Länder, Menschen und Kulturen kennenlernen wollten und die sich durch das in der DDR vorherrschende "Reiseverbot" für Länder, die nicht zum "harten Kern der Sozialistischen Staatengemeinschaft" zählten, doch recht eingeengt fühlten. Zu denen gehörten auch ich und meine gesamte Familie. Für uns gab es nichts Interessanteres, als zu reisen, Länder wie Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien kennenzulernen, und nun diese Worte: "Maputo, Mosambik ... Afrika". Eine Chance oder der Beweis dafür, dass die Dinge im Leben oft unerwartete Wendungen nehmen können, und damit wieder zurück zu meiner Geschichte.

Ich hatte mich also bereiterklärt, die Arbeit an dem Konzept zu übernehmen, und alles, was nach diesem Gespräch folgte, waren ganz normale, arbeitsrechtliche Schritte.

Von meinem Betrieb aus delegierte man mich über das Kombinat in Dresden zum Ministerium für Bauwesen nach Berlin. Dort erwartete mich eine Generaldirektorin, die mich über unsere zukünftige Zusammenarbeit und über das weitere Vorgehen unterrichtete. Zum ersten Mal in meiner beruflichen Laufbahn erhielt ich eine sehr komplexe Zielstellung und das Besondere daran war die Herausforderung, den Weg dorthin uneingeschränkt selber bestimmen zu können. Eine im Anfang ungewohnte, aber doch interessante Angelegenheit, die mich im Laufe der Zeit immer mehr begeisterte. Schon damals ein Arbeitsstil, der Parallelen zur heutigen Freiberuflichkeit aufwies und der volles Engagement verlangte, mir jedoch auch die Möglichkeit bot, eines Tages nach Afrika zu reisen, und wäre es nur mal für einen kurzen Einsatz, eine Dienstreise oder was auch immer daraus werden würde. Eine Vorstellung und ein Ziel, das ich von diesem Moment an niemals mehr aus den Augen verlor.

Mit der Zeit fügten sich die Dinge dann immer besser. Das von mir vorgelegte Konzept wurde in allen Einzelheiten akzeptiert, worauf ich in der Weiterführung damit beauftragt wurde, entsprechend der internationalen Ausschreibung das Angebot zu erarbeiten. Ich suchte und fand die passenden Partner für mein Projekt, unter anderem in einem Projektierungsbüro, Kollegen, denen ich meine Ideen präsentierte und die sie in Form von Konstruktionszeichnungen auf dem Papier sichtbar werden ließen. So entstand ein Berufsausbildungszentrum, wie es nach meinen Vorstellungen in die Region Maputo hineinpassen könnte.

Da ich damals leider niemanden kannte, der schon einmal in Afrika, geschweige denn in Maputo gewesen war, sah ich mich gezwungen, alles an nützlichen Informationen zu sammeln, was ich von irgendwoher bekommen konnte. Ein recht beschwerlicher Weg, denn in der DDR gab es keine für mich verwertbare Literatur zum Thema Afrika, zu Mosambik, geschweige denn bautechnisch relevante Angaben zur Region Maputo, und dazu gesellte sich noch ein weiteres Handikap. Alle meine Unternehmungen unterlagen laut Weisung der "strengsten Geheimhaltung". Das entstehende Ausbildungszentrum musste als "Geheime Verschlusssache" betrachtet werden. Was das auch immer bedeutete, die Arbeit wurde für mich dadurch nicht leichter. Aber wie sagt man so schön, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Deshalb ist es mir überhaupt nicht peinlich, zu berichten, dass die Schwester eines technischen Zeichners, der mit an meinem Projekt arbeitete, in der Bundesrepublik lebte und uns mit einer Reihe interessanter Reiselektüre zum Thema Afrika versorgte. Informationen, die ich prompt in "sozialistisches Gedankengut" umwandelte, was sich letztendlich recht positiv auf die Qualität des entstehenden Ausbildungszentrums auswirkte.

Als gelernter DDR-Bürger wusste man sich eben zu helfen. Deutsch-deutsche Beziehungen auf privat-dienstlicher Ebene, die schon damals einer guten Sache dienten. Es half mir, in meiner Arbeit voranzukommen, und so präsentierte ich mein Ausbildungszentrum termingerecht im Ministerium für Bauwesen in Berlin. Anfänglich in einzelnen Schritten und dann am Ende, zu einem festgelegten Datum, als "Gesamtwerk".

Da lag es nun, ausgebreitet auf einem Tisch, in mehreren großen und kleinen blauen Mappen und wurde von einer Reihe mir unbekannter Menschen betrachtet. Man blätterte hin, man blätterte her und mir schien, am besten kamen die Zeichnungen der einzelnen Gebäude an. Alles klar, dachte ich, das Beste in einem Buch sind wohl doch immer wieder die Bilder. Allerdings befand ich mich diesbezüglich im Irrtum. Die Damen und Herren stimmten sich lediglich auf das Thema ein und es folgte eine sehr umfangreiche und tiefgründige Betrachtung der Inhalte. Man war gut vorbereitet und stellte viele Fragen, Antworten und Meinungen wurden diskutiert, und bald fühlte ich mich, als würde ich eine Abschlussarbeit verteidigen. Darin war ich allerdings geübt und in diesem Fall sicher, dass das, was dort auf dem Tisch lag, Hand und Fuß besaß, was dann auch abschließend von den "Juroren" einstimmige Bestätigung fand.

Äußerst zufrieden mit dem Verlauf und dem Ergebnis der Beratung trat ich mit meinem "Lada 1200" die Rückreise von Berlin zu meinem Heimatort an. Auf der Fahrt stellte ich mir vor, wie es wohl wäre, wenn "mein" Ausbildungszentrum eines Tages in der Nähe der Stadt Maputo errichtet werden würde. Bei der damaligen Verkehrsdichte auf der Autobahn war es noch möglich, sich in aller Ruhe seinen Gedanken hinzugeben. Irgendwann, kurz vor meinem Zuhause, wurde ich dann wach und tröstete mich damit, dass doch eine sehr schöne Zeit hinter mir lag, in der ich an diesem Projekt gearbeitet hatte, und dass es nun galt abzuwarten, wie sich die Dinge weiter entwickeln würden. Dabei gab es immer mal wieder Momente, in denen ich das Thema Afrika gar nicht so weit entfernt glaubte.

Wir hatten mittlerweile Sommer, ein Sommer, der sich so langsam seinem Ende neigte, und nachdem ich mein Projektangebot in die Hände des Ministeriums gelegt hatte, ahnte ich, dass nun alles wieder so kommen würde, wie es vor Monaten geendet hatte. Der Wecker, der Regen, die Lkw, der Dreck und die vierzehn Kilometer zum Betrieb. Aber da gab es ja noch Paul und die Truppe meiner Kollegen aus der Lehrwerkstatt, aus dem Betrieb und natürlich die Lehrlinge, die nach wie vor für Abwechslung sorgten. Das alles versprach auch weiterhin eine gute Zeit. Ich empfand das bis dahin Erlebte als eine wunderbare Erfahrung, die mein Leben damals in jeder Hinsicht abwechslungsreich, interessant und vor allem lehrreich gestaltet hatte. Insgeheim blieb ich natürlich fest davon überzeugt, irgendwann würde es eine Neuauflage geben, vielleicht mit ähnlichen Chancen, und dann könnte eventuell doch noch und wenn auch nur ein kleiner Teil von meinen Träumen in Richtung "große Welt" Wirklichkeit werden.

Noch oft sprachen wir im Kreis der Familie über einen möglichen Einsatz in Afrika und wie es wohl sein könnte, würde sich das Ganze noch ein Stück weiter in diese Richtung entwickeln. Das alles lag nun nicht mehr in meiner Hand, deshalb hieß es einfach nur abwarten.

Die Tage und Wochen vergingen. Der Alltag hatte mich längst eingeholt und die erwartete Ernüchterung nahm Stück für Stück ihren Lauf. Der Wunsch, als DDR-Bürger doch noch das so weit entfernte Afrika kennen zu lernen, war für mich mittlerweile, schon auf Grund der langen Zeit, in der ich nichts mehr von meinem Projekt gehört hatte, in unerreichbare Ferne gerückt. Aber wie das Leben so spielt, genau in dem Moment, in dem niemand mehr, weder ich noch meine Familie, an die Träume der Vergangenheit dachten, erreichte mich die unglaubliche Nachricht, wir hatten die Ausschreibung, den Tender, gewonnen. Mosambik wollte das Projekt, "mein" Ausbildungszentrum, und da war es nun plötzlich wieder, das Gefühl, irgendwann doch noch nach Maputo fliegen zu können, und nun sollte es sich sogar um einen längeren Einsatz handeln und nicht nur, wie bisher von mir angenommen, um eine oder mehrere kurze Dienstreisen.

Meine Gedanken überschlugen sich, genau wie die Ereignisse. Vom Kombinat aus wurde ich mit weiteren, vorbereitenden Arbeiten beauftragt. Ich "klopfte" in der gesamten DDR die Lieferbereitschaft der volkseigenen Unternehmen für die benötigten Maschinen und Ausrüstungen ab, und ohne einen "Sonderstatus" von Partei- oder Staatsführung erhalten zu haben, konnte ich schon nach kurzer Zeit große Erfolge vermelden.

In einem Land, in dem der Erwerb einer Bohrmaschine einem Lottogewinn gleichkam, war die erklärte Lieferbereitschaft der Betriebe von nahezu fünfundsiebzig Prozent des gesamten Lieferumfangs mehr als ein Erfolg.

Vielleicht war es mein Engagement oder die Begeisterung, mit der ich an dieser Aufgabe arbeitete, irgendwie zeigten sich die meisten meiner Gesprächspartner in den Betrieben und Kombinaten des Landes bereit, ein solches Projekt zu unterstützen, mit allem, was sie zum Gelingen meines Vorhabens beitragen konnten. So traf ich viele Interessierte, mit denen ich oft sehr ausgiebig über meine Arbeit, über das Ausbildungszentrum, aber auch über das Thema Afrika sprach. Dabei wurde mir bewusst, wie sehr sich die Menschen in der DDR wirklich danach sehnten, Länder zu bereisen, die für uns tabu waren.

Im Kombinat hingegen tat man immer geheimnisvoller. Je weiter ich mit meiner Arbeit vorankam, desto nachdrücklicher wies man mich darauf hin, so wenig wie möglich von dem, was ich so tat, in die Öffentlichkeit zu tragen. Das jedoch fiel mir nach wie vor schwer und ich wusste auch ehrlich gesagt nicht, wie das funktionieren sollte, denn ich machte immer wieder die Erfahrung, gerade durch meine Art, über die Dinge zu reden, genau den Erfolg erzielt zu haben, den ich für dieses Projekt so dringend benötigte. Außerdem hielt ich derartige Hinweise sowieso für Unsinn. Ich wollte einfach nur nach Afrika und wenn möglich, gleich und natürlich mit der ganzen Familie.

Von nun an drehte sich dann alles nur noch um ein Thema. In meinem nicht endenden Diensteifer hatte ich es so weit vorangetrieben, dass sogar schon über Laderaum und Schiffsfracht nachgedacht werden musste. Immer wieder neue Arbeitsfelder, in die ich mich hineinbegab und die mir wahnsinnigen Spaß bereiteten.

Bei aller Schwärmerei für meinen neuen Job wurde mir aber auch immer bewusster, welche Verantwortung auf mir lastete. Die Kollegen und Partner, mit denen und für die ich arbeitete, stellten hohe Anforderungen und ich erkannte sehr schnell, alles, was unter dem Niveau der Perfektion lag, wurde von niemandem akzeptiert. Hierbei ging es plötzlich nicht "nur" um ein Ausbildungszentrum im Wertumfang von etwa 25 Millionen US-Dollar, nein, hier ging es wohl in erster Linie um das Ansehen der DDR auf dem Weltmarkt. Man wollte dem kapitalistischen Wirtschaftssystem mal so richtig zeigen, was ein kleines Land wie die DDR mit ihrem "real existierenden Sozialismus" so draufhatte, und das alles mit mir als nunmehr allein kämpfendem Frontmann.

Noch heute bin ich froh, die Tragweite dieser Situation damals nicht einmal im Ansatz erkannt zu haben.

Die Welt befand sich Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre noch mitten im "Kalten Krieg". Um es sehr simpel auszudrücken, jede der beteiligten Seiten tat, was sie konnte, um der anderen nachhaltig zu schaden und dabei in der Weltöffentlichkeit noch gut dazustehen. Leider spielte dieses Thema im weiteren Verlauf immer wieder eine oftmals sehr böse Rolle bei allem, was meine Kollegen und ich, aber auch viele andere Menschen auf beiden Seiten der "Front" erleben und erleiden mussten.

Die Volksrepublik Mosambik führte zur damaligen Zeit einen nicht erklärten Krieg mit Südafrika, die Apartheid hatte dort einen gewissen Höhepunkt erreicht, dagegen kämpfte der ANC (African National Congress) mit Nelson Mandela an der Spitze einen Kampf, den wiederum Mosambik unterstützte. Mosambik selbst stellte weltpolitisch gesehen für den Ostblock den "Horchposten" zum Nachbarland Südafrika und somit zum kapitalistischen Weltsystem dar. Im Land selber herrschte Bürgerkrieg und marodierende Banden trieben ihr grauenvolles Unwesen.

Als DDR-Bürger hatte ich schon einmal etwas von alledem gehört, doch die Realität und noch dazu die im südlichen Afrika war für mich damals weit entfernt und überhaupt nicht greifbar. Ich wurde zwar in der Schule, beim Studium und in den Medien ständig mit den Themen "Marxismus-Leninismus" bombardiert, auch die "Klassenfeindtheorie" war immer und überall; was jedoch wirklich in der Weltpolitik geschah, blieb zum größten Teil dahinter verborgen. Wir kümmerten uns eben mehr um die politischen Klassiker, wie Marx, Engels und Lenin.

Mit Abstand betrachtet, muss ich sagen, wäre es mir damals möglich gewesen, die Tragweite dessen, was ich in der nachfolgenden Zeit erlebt habe, zu überblicken, hätte ich auf einige oft gefährliche und abenteuerliche Episoden großzügig verzichtet.

So weit ein kleiner Exkurs zu den politischen Hintergründen, mit denen ich aus heutiger Sicht die Dinge, vor allem auch die ernsten Seiten zum Thema Afrika und Mosambik andeuten möchte.

Um den Faden wieder aufzugreifen, muss ich auf die Ereignisse zurückblicken, die sich im Kombinat in Dresden abspielten. Ich befand mich nun bald öfter dort als in meinem Heimatbetrieb. Die Familie, meine Frau und meinen Sohn, versuchte ich, so gut es ging, in all meine Aktivitäten mit einzubinden. So oft wie möglich waren wir zusammen und jede Entwicklung besprachen und entschieden wir natürlich gemeinsam. Meine Frau, aber auch unser Sohn, beide machten durch ihr Verständnis und ihre Unterstützung erst möglich, was im Nachhinein folgte. Von Tag zu Tag wurde es nun konkreter und der Grad der angewiesenen "Geheimhaltung" größer, bis der Moment kam, an dem man mich auch in bis dahin verschwiegene Hintergründe einweihen und umfassend unterrichten musste, denn ohne mich funktionierte es am Ende nun mal nicht.

Endlich erhielt ich die Information, wie der weitere Ablauf der Geschichte geplant war. Um es kurz zu machen, das besagte Ausbildungszentrum sollte in der Nähe von Maputo errichtet werden. Mein Part sollte es sein, mich bis kurz vor Fertigstellung der bautechnischen Arbeiten um den Transport, also die Verschiffung von Maschinen und Ausrüstungen sowie sonstiger Materialien, zu kümmern. In den letzten drei Monaten vor Beendigung der Bauarbeiten würde ich dann nach Maputo fliegen und von dort aus die abschließenden Arbeiten am Ausbildungszentrum begleiten, und dann sollte der schlüsselfertige Bau offiziell und feierlich an den mosambikanischen Partner übergeben werden. Nach der Übergabe des Objektes würde meine Aufgabe darin bestehen, zusammen mit drei Lehrmeistern aus der DDR und in enger Zusammenarbeit mit ausgewählten mosambikanischen Fachkräften das Ausbildungszentrum innerhalb der kommenden drei Jahre "zum Laufen" zu bringen. Nach drei Jahren, und davon waren wir überzeugt, würde das einheimische Personal das Ausbildungszentrum selbständig führen und für uns als Team sollte es, laut Aussagen des Generaldirektors, neue Herausforderungen geben. So wurde es beschlossen und so sollte es zu diesem Zeitpunkt sein.

Von nun an war ich noch intensiver mit Maschinen, Ausrüstungen und Seefracht beschäftigt. Ich erinnere mich dabei an einen sehr "feierlichen" Moment. Man teilte mir mit, dass mein Pass fertig sei, und bestellte mich zur Unterschrift zum Kombinat. Mittlerweile besaß ich schon den Status, die Kilometer, die ich mit meinem Privatwagen fuhr, abrechnen zu dürfen. Ich lud also meine Familie ein, wir reisten mal wieder nach Dresden, natürlich mit Übernachtung im "Weißen Hirsch", und ich dachte, nun endlich meinen Pass ausgehändigt zu bekommen. Das war allerdings ein Irrtum.

Ein Pass in den Händen eines DDR-Bürgers stellte damals für die "Genossen" eine unvorstellbare Situation dar.

So viel also erst einmal zu meinem Pass. Den durfte ich zwar unterschreiben, gelagert wurde selbiges "Dokument" dann jedoch im Tresor des Kombinates. Natürlich mit der Begründung: "Damit er nicht verloren geht."

Nun wurde es allerdings richtig ernst und wir begannen auch in der Familie angestrengt und konkret nachzudenken und zu planen. Für uns stand definitiv fest, die Ausreise stand bevor. War es anfänglich lediglich die Vorstellung, einen kurzen Arbeitseinsatz zu fahren, wie es beispielsweise Monteure innerhalb der DDR taten, so planten wir jetzt den Auslandsaufenthalt der ganzen Familie über mehrere Monate und Jahre.

Wie sagte man damals in der DDR so schön: "Das Sein bestimmt das Bewusstsein." Um es einfach oder normal auszudrücken, mit der Entwicklung und dem Voranschreiten der Möglichkeiten stieg auch der persönliche Bedarf, den man für sich gern in Anspruch nehmen wollte.

Es begann eine Phase, in der wir alle nur noch an ein gemeinsames Arbeiten und Leben in Afrika, in der Volksrepublik Mosambik dachten.

In der DDR nannten wir das Arbeiten immer zuerst.

Dann ein derber Rückschlag.

Mosambik steckte aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Situation im Land in Zahlungsschwierigkeiten. Die "Banco de Mosambik" konnte keine Bankgarantie für die Vertragssumme stellen. Da jedoch beide Seiten an dem Ausbildungszentrum interessiert waren, gab es immer wieder neue Verhandlungen, mit immer neuen Ansätzen, bis in die höchsten diplomatischen Kreise. Auf jeden Fall, und das war abzusehen, würde sich das Thema "Ausbildungszentrum" weit nach hinten verschieben, und bis heute ist mir nicht bekannt, welche konkreten Informationen über den damals aktuellen Stand des Vertragsgeschehens zum Kombinat wirklich durchgedrungen waren.

Unabhängig von den diplomatischen Rangeleien entwickelte sich für mich das Thema "Mosambik" weiter, was ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht ahnte.

In diesem Zusammenhang wurde ich dann erneut nach Dresden beordert, natürlich mal wieder ohne Angabe konkreter Gründe. Die Geheimniskrämerei begann nun echt zu nerven. Ich kam so allmählich an einen Punkt, an dem es mir schon fast egal war, wie sich alles entwickeln würde, ich wünschte mir nur Klarheit, so oder so, dem Nervenspiel sollte unbedingt ein Ende bereitet werden. Mit dieser Einstellung fuhren wir erneut zum Kombinat. Meine Frau, mein Sohn und ich.

Das Parkhotel "Weißer Hirsch" in Dresden sahen wir so langsam als unseren zweiten Wohnsitz an. Innerlich hatte ich mit Mosambik so gut wie abgeschlossen und irgendwie fühlte ich mich dadurch erleichtert, denn es lagen keine Erwartungen und keine Spannung mehr in der Luft. Ich hatte mich darauf eingestellt, mich am nächsten Tag, morgens um 9.30 Uhr, von all meinen Träumen zu verabschieden. Es sollte endlich wieder Normalität in unser Leben einziehen.

Der "Weiße Hirsch" war schon zu DDR-Zeiten ein angesehenes Hotel in Dresden, mit einer niveauvollen Unterbringung und einer guten Küche. Außerdem befand sich ganz in der Nähe eine Nachtbar. Wenn ich mich recht erinnere, war das die "Kakadu-Bar". Also beschlossen wir nach unserer Ankunft erst einmal gut zu Abend zu essen und anschließend dieser Nachtbar einen Besuch abzustatten.

Genau genommen war es schon damals nicht meine Art, mich so auf Termine am nächsten Tag vorzubereiten; da ich jedoch das Thema Mosambik als beendet ansah, hielt ich diesen Entschluss durchaus für gerechtfertigt. Außerdem bot der Besuch einer Nachtbar weder Grund noch Anlass, dem Alkohol zu erliegen, und so konnte ich auch am nächsten Morgen zumindest nüchtern meinen Termin wahrnehmen. Müdigkeit lässt sich schließlich überspielen und so machten wir uns startklar für den Abend.

Ein gutes Essen, ein gepflegtes Glas Wein und zwischendurch der Gedanke, wir müssten eventuell Karten für besagte Nachtbar besorgen, damit wir dann auch noch hineingelassen würden und nicht, wenn es interessant werden sollte, keinen Platz mehr bekämen.

In der DDR gab es nicht so viele Möglichkeiten, eine Nachtbar zu besuchen. Wir kannten eine in Rostock und dort war es die Norm, sehr lange im Voraus bestellen zu müssen. Ich entschloss mich also, noch vor dem Ende der ersten Flasche Wein zwei Eintrittskarten "klarzumachen". Meine Frau bestärkte mich in meiner Absicht und ich zog los.

Gleich am Eingang traf ich einen jungen Mann, von dem ich annahm, dass er etwas mit dieser Lokalität zu schaffen hatte. Nach einem kurzen Gespräch stellte sich heraus, er war an diesem Abend der Kartenverantwortliche. Da die Bar noch geschlossen hatte, stiegen wir über eine lange Hintertreppe nach unten in die "heiligen Räume" und ich durfte mir sogar den Tisch aussuchen, an dem ich mit meiner Frau sitzen wollte.

20,- Mark der DDR hielt ich für dieses Entgegenkommen für angemessen.

Als nun stolzer Besitzer zweier Eintrittskarten kehrte ich zurück in das Restaurant, in dem meine Lieben schon auf mich warteten. Wir freuten uns über besagte Karten und rätselten dann, wie wir die Zeit bis zum Einlass um 23.00 Uhr überbrücken könnten. Irgendwie waren wir gespannt auf den weiteren Verlauf des Abends. Die Zeit rückte näher und obwohl uns als ungeübte Nachtbarbesucher eine leichte Müdigkeit plagte, was wir uns natürlich nicht eingestanden, schritten wir zur Tat und unser Sohn ins Bett.

Schon auf der Treppe nach unten hörten wir die Musik und das ließ auf eine tolle Stimmung schließen. Am Eingang der Bar angekommen, waren wir dann dem Anschein nach die einzigen Gäste im weiten Rund. Als wir an dem für uns reservierten Tisch anlangten, überkam mich das Gefühl, die 20,- M Trinkgeld wären an anderer Stelle sicher besser angelegt gewesen. Mit anderen Worten, wir befanden uns wirklich fast allein in den Räumlichkeiten und das blieb auch den ganzen Abend so.

Zum Auftakt bediente man uns sogar noch. Im weiteren Verlauf des Abends wandte sich jedoch die Bedienung mehr und mehr dem Barmann zu und uns blieb somit nichts weiter übrig, als Eigeninitiative zu ergreifen.

Es lief nach wie vor ein Band mit guter Musik, bei den Getränken durften wir selber auswählen, wobei man uns lediglich bat, den Verbrauch auf einem Bierdeckel zu erfassen, zwecks späterer Abrechnung. Tolle Familienfeier, wir amüsierten uns köstlich, zusammen mit weiteren drei Gästen.

Als der Moment des Abschieds näher rückte, startete ich den Versuch, für meinen Bierdeckel einen Ansprechpartner zu finden. Bei meinen ernsthaften Bemühungen, Geld loszuwerden, wurde ich allerdings von besagtem Barmann und der Bedienung, die ich unter den gegebenen Umständen in einer, ich möchte behaupten, doch eher unangemessenen, aber interessanten Situation antraf, nachdrücklich aufgefordert, nicht weiter zu stören. Die Getränkeliste sollte ich auf den Tresen legen und man wünschte uns freundlicherweise noch einen schönen Abend. Den hatten wir dann auch.

Natürlich schrieben wir unsere Adressen auf die Bierdeckel, in der Erwartung, im Nachhinein eine Rechnung zu bekommen, und mit der Überzeugung, dass ich meine 20,- M nun doch noch gut angelegt hatte, gingen wir zurück zum Hotel und zu Bett.

Die erwartete Rechnung blieb aus.

Dafür kam der nächste Morgen. Ein schöner Tag kündigte sich an. Wir redeten noch über das Erlebnis der vergangenen Nacht und waren überzeugt, dass die beiden Typen in der Bar garantiert auch noch ein paar erlebnisreiche Momente gehabt hatten. Mit dieser Gewissheit und nach einem ausgiebigen Frühstück fuhren wir zum Kombinat. Dort empfing man mich überfreundlich und fast euphorisch. Der Kaffee kam gerade recht und dann redeten die Kollegen endlich mal Klartext. Sie teilten mir offiziell mit, mein Ausbildungszentrum befinde sich in den Händen der Diplomatie und das könne dauern, bis es zu konkreten Entscheidungen kommen würde, wenn überhaupt. Damit war dieses Thema erst einmal vom Tisch und man berichtete mir von einem schon laufenden Projekt, auch in der Volksrepublik Mosambik. Kurzum, es handelte sich um einen Gleisbautrupp, der damit beauftragt und beschäftigt war, eine Eisenbahnstrecke im Land zu rekonstruieren, einen Streckenabschnitt in der Provinz "Sofala". Das Problem dabei sei, dass die Arbeiten immer wieder ins Stocken gerieten. Es mangele dem Bautrupp oftmals am nötigen Gleisschotter. Die Gründe, so erfuhr ich weiter, gestalteten sich sehr vielseitig. Es fehlte praktisch an allem. Wenn es ausnahmsweise gelang, im Steinbruch, der den Gleisschotter produzierte, die Anlage am Laufen zu halten, schafften es die mosambikanischen Kollegen, etwa drei bis vier Eisenbahnwaggons am Tag mit besagtem Schotter zu beladen. Das funktionierte allerdings nur dann, wenn die Waggons im Steinbruch angeliefert werden konnten. Es musste dabei direkt vom Transportband auf die Waggons verladen werden, da eine Zwischenlagerung des Materials aufgrund fehlender Ladetechnik unmöglich war. Außerdem befand sich die einzige noch funktionierende Dampflokomotive in dieser Region nicht nur in einem sehr betagten, sondern auch in einem technisch beklagenswerten Zustand. Wenn in diesem Teufelskreis überhaupt etwas funktionierte, so erklärte man mir, verdanke man es dem Fleiß und dem Erfindergeist der dort arbeitenden Menschen. So sei die Situation und ich solle mich nun entscheiden, ob ich mir zutraute, mit einem zweiten Kollegen, der schon vor Ort sei, die Arbeit als Berater für diese Problematik aufzunehmen.

Eine vollkommen neue Situation und eine Frage, die ich erneut und mal wieder, bevor sie richtig ausgesprochen war, kurzerhand und ohne nachzudenken, mit einem deutlichen "Ja!" beantwortete.

Somit entwickelte sich das Thema Mosambik in eine ganz andere Richtung, als ich erwartet hatte. Kein Abschied, diesmal sogar ein greifbarer Neubeginn und deshalb war es mir im Grunde genommen mal wieder egal, welche Aufgaben auf mich in der Provinz Sofala warten würden, für mich gab es erneut nur ein Ziel, ich wollte sie dort vor Ort lösen.

Ich war mal wieder sofort bereit, sämtliche Opfer auf mich zu nehmen, um nach Mosambik fliegen zu können. Es begann also wieder von vorne. Damit wäre eigentlich schon alles gesagt. Ich gab meine Zustimmung und wusste immer noch nicht und in keiner Weise, worauf ich mich in diesem Moment einließ. Für mich, so glaubte ich, lediglich der Ansatz zur Erfüllung eines lang gehegten Traumes und der Beginn eines persönlichen Abenteuers mit einem, so wie ich annahm, "überschaubaren" Risiko. Allerdings erst einmal als "Alleinreisender" ohne Familie. So entnahm ich es den Schilderungen der Kollegen im Kombinat.

Damit war für mich die Sache erst einmal klar. Heute, viele Jahre nach diesem Lebensabschnitt, würde ich garantiert überlegter handeln, viel mehr hinterfragen und zusätzliche Sicherungslinien einbauen. Damals war ich einfach zu unerfahren, gutgläubig und weltfremd, allerdings ist man hinterher meistens schlauer.

Genau an dieser Stelle erinnerte ich mich an meinen Großvater, der in seinen jungen Jahren nach Amerika auswandern wollte, und an seinen Bruder, der in unserer Familie immer als ein sogenannter "Weltenbummler" bezeichnet wurde und der bis heute irgendwo in Südamerika als verschollen gilt. Dieses Schicksal wollte ich nun zwar nicht mit ihm teilen, dennoch wuchs in mir die Überzeugung, alte Familientraditionen wiederaufleben zu lassen und weiterzuführen, und das in der DDR, ein wahrhaft real existierender Widerspruch.

Als ich noch klein war, sprach mein Großvater oft mit mir über fremde Länder und Kontinente, vor allem aber über die Menschen, die dort lebten. Wir redeten über diese Dinge und ich hörte ihm gerne, aufmerksam und gespannt zu. Heute weiß ich, es war seine Sehnsucht nach dem, was er in seinem Leben nicht erlebt hatte, dabei war es in seiner Jugend sein wohl überlegter Wunsch gewesen, aus dem damaligen Deutschland auszuwandern. Er befand sich sogar schon in Hamburg an Bord eines Schiffes, das ihn nach Amerika bringen sollte. Allen Ausreise- und den Einreisebedingungen der amerikanischen Behörden hatte er entsprochen, nur seine damalige Verlobte, meine spätere Großmutter, entschied sich dagegen. Obwohl schon auf dem Schiff, brach er sein Vorhaben ab und blieb zusammen mit ihr in Deutschland.

Die Liebe war eben stärker als der Drang, die weite Welt zu erobern.

Was für eine Entscheidung!

Mein Großvater starb leider viel zu früh. Ich war gerade siebzehn Jahre alt und es ergab sich für mich nie wirklich die Möglichkeit, mit ihm ausführlich über sein Leben, seine Träume und über das Thema an sich zu reden. Das alles ging mir immer wieder durch den Kopf. Heute weiß ich, dass mir durch seinen viel zu frühen Tod vieles entgangen ist, was für mich im Allgemeinen und vor allem für den mir nun bevorstehenden Lebensabschnitt wichtig gewesen wäre.

Nachdem ich nun dieses unwiderrufliche "Ja" ausgesprochen hatte, war ich restlos überzeugt, in die Fußstapfen einiger meiner Vorfahren zu treten, vorerst allein und ohne meine Familie.

Von diesem Moment an gab es dann für mich auch wirklich kein Zurück mehr.

Mosambik, ich komme!