Sollte ich selbst ein Produkt sein und wenn ja, WARUM?
Autor: Nick Thräne
Vor kurzem fragte mich Marie, eine Coachee von mir, ob ich ihr bei der Vorbereitung auf die Auswahlverfahren für einige Stellenausschreibungen helfen könnte.
Leider mussten wir unser Gespräch vor der Zeit beenden und ich kam nicht mehr dazu, ihr zu antworten. Also schrieb ich ihr einen Brief:
Sollte ich selbst ein Produkt sein und wenn ja, WARUM?
Liebe Marie,
wenn du die Frage in der Überschrift liest, hört sich das für dich bestimmt erst mal etwas befremdlich an und du sagst dir: "Ich bin ein Mensch und kein Produkt. Ich bin doch kein Tisch oder Handy oder Schreibblock." Ich bin mir aber sicher, dass du dir unter einem Tisch, einem Handy oder einem Schreibblock direkt etwas vorstellen kannst. Auf jeden Fall hast du ein Bild von diesen Gegenständen vor deinem geistigen Auge. Wenn du dir dann etwas Zeit nimmst und ganz kurz über die Gegenstände (Produkte) nachdenkst, verbindest du bestimmt sogleich einen Zweck, eine Erinnerung, einen Nutzen oder eine Tätigkeit mit dem Handy, dem Tisch und dem Schreibblock. Oder?
Wenn du z.B. ein Handy kaufst, möchtest du bestimmt wissen, was das Handy kann und vor allem, was das Handy für dich tun kann. Kann das Handy Dinge, die dich erfreuen, die dich weiterbringen, die dir gefallen, die du für die Arbeit oder Freizeit nutzen kannst.
All diese Fragen muss ein Produkt, in diesem Fall ein Handy, beantworten können. Du gibst doch sicherlich kein Geld für etwas aus, von dem du nicht weißt, ob es dir einen Nutzen bringt, ob es dir gefällt, ob es dir hilft dein Leben schöner oder leichter zu machen. Du kaufst doch nicht die "Katze im Sack". Nein. Damit das Handy überhaupt eine Chance hat, von dir gekauft zu werden, muss es folgende grundlegende (Produkt) Merkmale aufweisen:
- Es hat einen Namen,
- es hat ein ansprechendes Aussehen,
- es erfüllt funktionale Kundenerwartungen,
- es weckt einen Bedarf,
- es hat ein Alleinstellungsmerkmal,
- es besitzt Überlegenheit gegenüber der Konkurrenz,
- es gibt ein Nutzenversprechen,
- es hat ein Verfallsdatum,
- es hat eine Käufer*in,
- es hat einen Preis.
Was passiert nun, wenn wir diese 10 Merkmale eines erfolgreichen Produktes mal auf dich und deine bevorstehenden Bewerbungsgespräche übertragen?:
· Du hast einen Namen.
Das ist die einfachste Übung.
· Du hast ein ansprechendes Aussehen.
Da gilt es schon zu überlegen, was das bedeutet. Ich empfehle dir, dich nicht in Kleidung zu zwängen, die dich unsicher macht. Lass dir auch keine neue Frisur machen, die dir gar nicht gefällt, nur weil du die Frisur gerade in einer Businesszeitschrift für die "Erfolgreiche Frau" gesehen hast. Versuche also nicht so auszusehen, wie du annimmst, dass du aussehen sollst. Zeige dich so, dass du dir sicher bist, dich selbst darzustellen. Musst du dich für den neuen Job schon Tag für Tag in eine Verkleidung zwängen, was soll das dann erst mit der Zusammenarbeit werden?!
· Du erfüllst funktionale Erwartungen.
- Schau dir die Stellenausschreibung genau an und frag unbedingt und ohne Angst nach (meist werden in Stellenausschreibungen Ansprechpartner*innen benannt, wenn nicht, finde diese heraus), wenn du etwas nicht verstehst oder mehr darüber wissen möchtest. Analysiere also, welche Erwartungen mit dem Ausschreibungstext tatsächlich formuliert sind.
- Übertrage die einzelnen Erwartungen des Unternehmens in ein Mindmap.
- Füge zu den Erwartungen des Unternehmens: a. deine beruflichen Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Eigenschaften und b. deine sozialen Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Eigenschaften, die diese Erwartungen erfüllen, hinzu. Hierbei ist wichtig, alles aufzuschreiben, was dir in den Kopf kommt. Ohne zu hinterfragen, ob das nun zu 100% richtig ist oder nicht.
· Du weckst einen Bedarf.
Im nächsten Schritt ergänzt du dein Mindmap mit deinen beruflichen und sozialen Kenntnissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Eigenschaften, die scheinbar nicht für den Job erwartet werden und versuchst Argumente zu erarbeiten, warum die Arbeitgeber*innenseite davon zusätzlich profitieren würde. Meist ist es für diesen Schritt notwendig, sich zusätzliches oder neues Wissen z.B. über die Entwicklungen in der jeweiligen Branche, der Zusammenarbeit, neuer Formen der Arbeit, etc. anzueignen. Manchmal hilft es auch, andere Stellenausschrei-bungen zu lesen und herauszufinden, was darin so erwartet wird.
· Du hast ein Alleinstellungsmerkmal.
Was hast nur du, oder was kannst nur du, was andere Kolleg*innen nicht können oder nicht so wie du? Wenn du selbst zu keinem Ergebnis kommst, bitte deine Freunde, deine Familie, vertrauenswürde Kolleg*innen, ehemalige Ausbilder*innen, Lehrer*innen, Dozent*innen, dich zu beschreiben. Sie sollen dir sagen, ob sie an dir etwas besonders finden.
Was du in diesen Gesprächen heraus bekommst, ergänze in deinem Mindmap.
· Du besitzt Überlegenheit gegenüber der Konkurrenz.
Versuch dich an Situationen in deinem Berufsleben zu erinnern, in denen du ein Problem gelöst hast, allein oder im Team. Versuch dich an Begebenheiten zu erinnern, wo jemand vielleicht zu dir gesagt hat: "Mensch, ich frag mich, wie du das immer hinbekommst". Erinnere dich an Situationen, bei denen man dich um Hilfe gebeten hat.
Schreib diese Geschichten in Stichpunkten auf und versuche heraus zu finden, wie du das Problem gelöst hast oder warum man deine Fähigkeiten gebraucht hat. Finde heraus, was nur du in der jeweiligen Situation konntest. Ergänze deine Erkenntnisse im Mindmap.
· Du gibst ein Nutzenversprechen.
Bei diesem Schritt würde ich dir empfehlen, dein Mindmap mit der Fragestellung zu durchforsten:
Welchen Nutzen hat das Unternehmen von allem, was ich kann und bin?.
Schreib deine Erkenntnisse als nächsten Punkt in dein Mindmap.
· Du hast ein "Verfallsdatum".
"Verfallsdatum". Was für ein unpassendes Wort.
Ich möchte dir erklären, was ich darunter verstehe.
Wenn du bei Punkt 8. angekommen bist, hoffe ich, dass du viele konkretisierende und auch neue Erkenntnisse über dich und deine bisherige Berufsbiographie und über das stellenausschreibende Unternehmen und dessen Erwartungen an dich gesammelt und analysiert hast.
Jetzt fehlt aber noch mindestens ein wichtiger Aspekt, eine wichtige Perspektive, nämlich: Was willst du eigentlich?
Stelle dir folgende Fragen und notiere dir die Antworten im Mindmap:
- Was brauchst du vom Unternehmen, um deine Leistungsfähigkeit voll entfalten zu können?
- Unter welchen Bedingungen wirst du nicht für ein Unternehmen arbeiten?
- Was kannst du dem Unternehmen nicht bieten?
- Was willst du dem Unternehmen nicht bieten?
- Passt der Job zu dir?
- Passt du zum Job?
Bitte lies dazu auch den Artikel im nachstehenden Link und ergänze deine Erkenntnisse im Mindmap:
https://www.besserwissenschaffen.eu/l/wie-werde-ich-glucklich-im-job-100-studien-antworten/
· Du hast eine Käufer*in.
Ganz einfach. Du bewirbst dich!
· Du hast einen Preis.
Du brauchst nur so viel Geld, dass du deine Bedürfnisse stillen kannst. Finde heraus, was deine Bedürfnisse sind und richte daran deine Einkommensziele, dein Einkommensniveau aus und nicht etwa daran, dass du dich mit dem Einkommen anderer vergleichst.
Wenn du an diesem Punkt deiner Analysearbeiten angekommen bist, würde ich dir empfehlen aus den wahrscheinlich sehr großen Datenmengen, die du erzeugt hast, eine Bündelung der jeweils wichtigsten Erkenntnisse vorzunehmen.
Lies dir noch einmal die Stellenbeschreibung, auf die du dich bewerben möchtest, durch. Dann nimm dir dein Mindmap und beantworte dir im Kontext des Ausschreibungstextes nachfolgende Fragen mit jeweils maximal 3 Antworten:
- Was genau erwartet das Unternehmen von mir?
- Wie erfülle ich diese Erwartungen des Unternehmens, weil ich das richtig gut kann? Plus einem Beispiel pro Aspekt!
- Was kann ich besser als andere? Plus einem Beispiel pro Aspekt!
- Welchen Nutzen hat das Unternehmen von mir? Plus einem Beispiel pro Aspekt!
- Was erwarte ich vom Unternehmen? Plus einem Beispiel pro Aspekt, zur Erläuterung!
- Was koste ich?
Wenn alles gut gelaufen ist, hast du nun ein Papier mit 16 - 19 zentralen Erkenntnissen und Aussagen vor dir liegen. Diese Erkenntnisse und Aussagen haben eine so starke analytische Tiefe, dass sie dir als Grundlage für:
- deine schriftliche Bewerbung,
- dein Bewerbungsgespräch oder auch eventuelle,
- Tests und Assessmentcenter dienen werden.
Du bist nun in der Lage, deinem Gegenüber ganz klar zu beschreiben, wer und was du bist und kannst. Genau wie ein "Produkt" in der Wirtschaft, wenn es sich erfolgreich verkaufen soll.
PS: Ich wünsche dir ganz viel Erfolg bei deinen Bewerbungsverfahren.
Du bist jetzt gewappnet!
Ganz liebe Grüße!
Nick