Wenn einer eine Reise tut! Die Kroatiendienstreise.
Autor: Nick Thräne
10.30 Uhr, Regen, Flughafen Berlin Schönefeld, Abflug nach Kroatien.
Markus, mein Kollege im Projekt und ich mussten für vier Tage auf Dienstreise nach Osijek im Nordosten Kroatiens. Wir betreuten ein Projekt und wollten mit den kroatischen Projektpartnern über die Fortschritte vor Ort sprechen. Außerdem begleitete uns zum ersten Mal Ana. Sie war Kroatin und unsere Übersetzerin.
Beim Einchecken berichtete mir Markus, dass er sich diesmal darum gekümmert habe, dass wir die Plätze im Flieger bekämen, wo man am meisten Beinfreiheit habe. Markus ist 2,05 Meter und hatte auf den letzten Flügen immer arge Platzprobleme.
Unsere Plätze lagen direkt am Notausgang und wir konnten tatsächlich die Beine richtig ausstrecken. Wir saßen alle drei nebeneinander. Ana sollte am Fenster sitzen. Sie war noch nie geflogen und sollte den Ausblick genießen können. Wir fühlten uns superwohl und erwarteten die Vorbereitungen auf den Start.
Nachdem wir bereits 45 Minuten über Abflugzeit waren, die Stewardessen auf unsere Nachfragen nur wortlos gelächelt hatten, meldete sich der Pilot und bat für die Verzögerung um Entschuldigung. Einen Grund für die Wartezeit nannte er hingegen nicht. Man sah lediglich beim Blick aus dem Fenster einen Schlossertrupp mit irgendeinem scheinbar ausgewechselten Bauteil vom Flugzeug wegfahren.
Ana schaute uns mit großen Augen fragend an. Wir machten auf lässig und zuckten locker mit den Schultern. Mindestens mulmig war uns allerdings auch zumute.
Die Maschine rollte an. Wir erreichten die Startbahn, wurden in die Sitze gepresst und hoben ab. Als unser Flugzeug Reisehöhe erreicht hatte, begann es neben Ana in der Nähe der Notfalltür laut zu klappern. Gleich darauf klappte die gesamte Türverkleidung heraus und fiel vor uns zu Boden. Wir blickten auf die nackte Außentür. Das Klappern wurde lauter.
Mein Kopfkino setzte sich in Bewegung: Tür raus, Unterdruck, gleich werden wir James Bond mäßig herausgesogen. Ich krallte mich am Sitz fest. Ana krallte sich in meinem Arm fest.
Just in diesem Moment eilte eine Stewardess herbei und beförderte die Türrahmung mit zwei Fußtritten unten und einem kräftigen Faustschlag oben wieder in die richtige Position. Dabei erklärte sie uns, dass das lediglich beim Start und bei der Landung passieren würde und wir uns daher keine Sorgen zu machen brauchten. Wir starrten alle drei die Stewardess-Schlosserin bewegungslos an.
Auf diesen Schreck bestellten wir uns drei Becher Cola und drei Fläschchen Wodka. Ana bekam ihr Wodkafläschchen nicht auf und bat mich, ihr zu helfen. Als ich zu ihr rübergreifen wollte, stieß ich gegen meinen Colabecher, dessen gesamter Inhalt sich unmittelbar auf meine Hose ergoss.
Um mir das Malheur genauer anzusehen, ging ich erst mal auf die Toilette.
Schadensgutachten:
- Cola auf hellblauer Jeans und im Schritt?
- Nicht wirklich schick!
- Außerdem auch nass!
- Außerdem auch nass, bis auf die Unterhose!
Gegenmaßnahmen:
- Trockenlegung!
- Wie?
- Toilettenpapier?
- Zu wenig noch auf der Rolle!
- Kleenex?
- Super!
Was ich aus der Kleenexbox im Flugzeugklo herausholen konnte, stopfte ich mir in den Schlüpfer. Frisch gewindelt kehrte ich zurück auf meinen Platz.
Eine zweite Runde Cola lehnte ich ab. "Für mich bitte nur Wodka, pur!"
Recht nett beschwipst steuerte ich gleich nach der Landung den erstbesten Klamottenladen auf dem Flughafen an. Der Verkäufer erriet, ohne dass wir auch nur ein Wort wechseln mussten, meinen Wunsch nach einer neuen Hose und führte mich zu den Umkleidekabinen. Als er mir mit der Jeanshosenauswahl dann auch noch gleichzeitig ein Dreierpack Unterhosen in die Umkleide reichte, war ich mir sicher, dass ich nicht der erste ungeschickte Fluggast in seinem Laden war. Erst als ich den Ladenbesitzer um eine kleine Tüte für die Kleenex bat, schaute er mich doch ein wenig verwirrt an.
Am letzten Abend unserer Dienstreise luden uns unsere kroatischen Kolleginnen und Kollegen zu einem traditionellen Abendessen ein. Um 19 Uhr wurden wir am Hotel abgeholt und zu einem kleinen Bauernhof, der zu einem Restaurant umgebaut wurde, gefahren. Es gab Fischsuppe, die draußen über offenem Feuer gekocht wurde. Solange die Suppe noch kochte, führte man uns in den Weinkeller und ließ uns einige Weine verkosten. Mit einer weinseligen Leichtigkeit nahmen wir Platz an der Tafel unserer Gastgeber. Es kamen zwei große Töpfe mit Fischsuppe auf den Tisch. Dazu gab es die erste Weinabfüllung des aktuellen Jahrgangs. Ana übersetzte uns, dass in dem einen Topf die originale, traditionelle Suppe mit scharfen Gewürzen sei und in dem zweiten Topf eine mildere "nordeuropäische" Variante. Ich nahm die mildere nordeuropäische Variante und ein "Osječko Pivo", ein regionales, wirklich leckeres Bier und berichtete von meinen Erfahrungen einige Jahre zuvor mit scharfer ungarischer Fischsuppe, jungem Wein und den Erlebnissen der Nacht danach. Ana und Marcus hingegen entschieden sich für die traditionelle Suppe und den frischen Wein und warfen mir einen Blick zu, den man am ehesten wohl mit "Warmduscher" interpretieren konnte. Zugegeben fühlte ich mich auch gleich so und überlegte, doch die scharfe Variante zu nehmen. Die gesamte Tafel begann zu löffeln. So ungefähr nach dem zweiten Löffel Suppe bildeten sich haselnussgroße Schweißperlen auf Anas und Marcus' Stirn. Nach dem dritten Löffel Suppe begannen beide, jeden weiteren Löffel mit einem kräftigen Schluck Wein hinunterzuspülen. So ging das weiter, bis beide ihren Teller leer gelöffelt und zwei wirklich große Karaffen Wein ausgetrunken hatten. Zum Nachtisch gab es Eis. Ana und Marcus forderten gleich mehrfach einen Nachschlag. Sowohl beim Eis als auch beim Wein. Das Letzte, was ich von Ana und Marcus an diesem Abend im Hotel durch die dünnen Gipskartonwände hörte, war, dass beide links und rechts von meinem Zimmer fast synchron und in regelmäßigen Abständen in das Toilettenbecken brüllten.
Fischsuppe, junger Wein und Eis waren keine Gesprächsthemen auf dem Heimflug. Und auch längere Zeit danach nicht.